Über das Nein hinaus + BRONXX
Ausstellungsgespräch, Performance, Runder Tisch im Rahmen von „wildes wiederholen. material von unten: Künstlerische Forschung im Archiv der DDR-Opposition“
16. Dezember 2018, ab 16 h
Die Ausstellung im Archiv der DDR-Opposition ist am 15. & 16. Dezember von 15-18 Uhr geöffnet!
Ort: Haus 22 und Haus 17 /Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft
Stasizentrale. Campus für Demokratie, Ruschestraße 103, 10365 Berlin
Archiv der DDR-Opposition Haus 17 – Stasizentrale. Campus für Demokratie
• 16 h A Vocabulary of Revolutionary Gestures*
Ausstellungsgespräch mit Elske Rosenfeld und Wolfgang Templin
Ein Gespräch zu zwei Arbeiten aus Rosenfelds Forschung zu Körper und Revolution: „Ein bisschen eine komplexe Situation“ (2014) interveniert in das Filmdokument einer Szene, in der das erste Treffen des Zentralen Runden Tischs der DDR von einer Demonstration vor dem Haus unterbrochen wird. In „Versuche/Framed“ (2018) versuchen zwei der selben Protagonist*innen und der Kameramann, aus ihren Erfahrungen ein Jahr später einen Wahlwerbespot zu machen.
Haus 22 – Stasizentrale. Campus für Demokratie
• 18 h Über das Nein hinaus / Der Anfang von Etwas *
Runder Tisch mit Max Hertzberg, Henrike Naumann, Nadia Tsulukidze, Elsa Westreicher und Kai Ziegner, Frank Ebert moderiert von Suza Husse und Elske Rosenfeld.
Als sich im Herbst 1989 DDR-Opposition und Massenbewegung trafen, kam es zu einer Explosion der Formen des Protest und des gemeinsamen Sprechens. Straßenproteste, Mahnwachen, Versammlungen und Runde Tische, unzählige Druckschriften, Flugblätter, neue Zeitungen entlehnten ihre Formen zunächst den oppositionellen (Sub)kulturen der DDR und Osteuropas und begannen sich gleichzeitig in bislang nicht dagewesener Weise auszuformen, zu –differenzieren. Protagonist*innen empfanden die landesweite politische Ermächtigung als Beginn einer Konkretisierung ihrer in der Opposition entwickelten Positionen (zu Umweltschutz, Menschenrechten, dem Schutz vor staatlicher Überwachung, Basisdemokratie, gesellschaftlicher und politischer Teilhabe aller, usw.) im Prozess einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation und radikalen Demokratisierung – die aber bereits ab Frühjahr 1990 unter immer weniger selbstbestimmten Bedingungen stattfand. Obgleich sie in den 1990er Jahren die Schaffung neuer politischer Strukturen und wichtige Proteste inspirierten, verloren die Bürgerbewegungen im Zuge der Wiedervereinigung an Handlungs- und Wirkmacht. Später sollten ihre Rolle und ihre Positionen auch in den Erzählungen zu 1989/90 immer stärker an Sichtbarkeit verlieren. Seit 2014 bedienen sich nun ausgerechnet neo-faschistische Gruppierungen wie Pegida oder kürzlich die bekennende Neonazis von ProChemnitz der angeblich von den DDR-Bürgerbewegungen geerbten Tradition des Widerstands gegen „die da oben”. Wie können wir die Geschichte des Widerstands in der DDR und die politischen Vorschläge von 1989 wieder für eine radikal demokratische und solidarische Politik von Unten reklamieren und solchen Übereignungen entgegentreten?
Haus 22 – Stasizentrale. Campus für Demokratie
• 20 h BRONXX Performance von Technosekte + Henrike Naumann
Ein Versuch, mit den Mitteln experimenteller Musik ein alternatives Kommunikationssystem zur Geschichte der Verbindungen von Stasi und Opposition zu entwickeln.
BRONXX, eine Performance von Technosekte & Henrike Naumann, beschäftigt sich mit der Verbindung von DDR-Underground und IM-Tätigkeit. Die Dissonanzen und Widersprüche dieser komplexen Verschränkung führen an die Grenzen der Sprache, verlangen nach anderen Formen von Geschichtlichkeit: Technosekte und Naumann erproben mit BRONXX ein alternatives Kommunikationssystem, das Geschichte als Ritual befragt und Rhythmus als Technologie einsetzt, die rituelle und kodierende Möglichkeiten vereint. Um sich dem anzunähern, was unter den Ebenen des unmittelbar Wahrnehmbaren liegt, stellt BRONXX einen temporären Resonanzraum her, in dem die Übergänge zwischen belebten und unbelebten Akteur*innen, zwischen Spiritualität und Technologie, verschiedenen Zeitordnungen und Ideologien fließend werden. Eine Art ’Stasi-Geisteraustreibung’ mitten im ehemaligen Zentrum des DDR Stasiapparats und gleichzeitig eine Erinnerung an die Formen des DDR-Underground als etwas Flüchtiges, Undokumentierbares, sich der Überwachung widersetzendes.
BRONXX beendet die Ausstellung und das Programm wildes wiederholen. material von unten: Künstlerische Forschung im Archiv der DDR-Opposition.
* Veranstaltung in deutscher Sprache mit Flüsterübersetzung ins Englische.
** Veranstaltung in englischer Sprache.
TEILNEHMER*INNEN
Frank Ebert ist seit 1993 Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft und des Archivs der DDR-Opposition und war vor 1989 in der Berliner Umwelt-Bibliothek aktiv, aus der / auf deren Grundlage und in deren Räumen die beiden Institutionen in den frühen 90er Jahren entstanden.
Max Hertzberg ist ein britischer Autor und Aktivist, und imaginiert in der Thrillertrilogie The East Berlin Series, eine krisengeschüttelte, aber doch fortbestehende, nach den Ideen der Bürgerbewegungen reformierte DDR im Jahr 1993, aus seiner aktivistischen Praxis heraus, veröffentlichte er mehrerer Handbücher zu basisdemokratischen Methoden.
Suza Husse interessiert sich für queer-feministische und dekoloniale Zugänge zu Körperlichkeiten, Ökologien, Formen von Gemeinschaft, Geschichte und politischer Imagination. Seit 2012 leitet sie den interdisziplinären Kunstraum District. Die Geschichte der post-sozialistischen Gegenwart ist ein Schwerpunkt ihrer kuratorischen Forschung.
Henrike Naumann erkundet in ihren immersiven szenografischen Räumen Reibungsverhältnisse entgegengesetzter Ideologien anhand von Alltagsästhetiken u.a. im Ostdeutschland der 90er Jahre. Zusammen mit der Technosekte entwickelt sie die Performance BRONXX als Beitrag zu wildes wiederholen. material von unten. Technosekte nutzt die performativen und rituellen Möglichkeiten von Rhythmus/Trommeln, Bewegung, Gesang, Gemeinschaft. Vor dystopischen Horizonten schafft Technosekte Punk geprägte Rituale experimenteller Musik und verarbeitet Gefundenes, um neue Gemeinschaftlichkeiten zu improvisieren.
Elske Rosenfeld forscht als Künstlerin und Autorin zur Geschichte von 1989/90 und Formen der Dissidenz. Aus ihrer langjährigen Praxis im Archiv der DDR-Opposition entstand die Idee für ein gemeinsames künstlerisches Forschen im Archiv. Ihr fortlaufendes Projekt A Vocabulary of Revolutionary Gestures untersucht, wie sich politische Ereignisse in den Körpern ihrer Protagonist*innen manifestieren und in sie einschreiben.
Wolfgang Templin saß 1989 am Zentralen Runden Tisch der DDR. Er war Mitbegründer der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) und Mitherausgeber der Samisdat-Zeitschrift Grenzfall. Nach 1989 war Templin u.a. Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.
Nadia Tsulukidze ist Künstlerin, Tänzerin und Choreographin. Ihre im Archiv entwickelte Videoperformance befragt Resonanzen zwischen der Biografie und dem Werk einer ostdeutschen Theaterregisseurin und Dissidentin und ihrer eigenen Biografie, zwischen Migrationserfahrung im Post-Sozialismus und weiblicher Klaustrophobie in der DDR.
Elsa Westreicher ist Grafikdesignerin mit kritischem Blick auf visuelle Konventionen und die Bedeutung ihrer Abweichungen. Ihr Projekt für wildes widerholen. material von unten ist eine Art „deep reading“ der grafischen und materiellen Beschaffenheiten sowie gestischen Einschreibungen einiger Transparente aus dem Objektefundus des Archivs.
Kai Ziegner nutzt analoge Fotographie und experimentelles Schreiben, um anhand autobiographischer Recherchen Gewaltkulturen und Männlichkeitskonzepte in Ostdeutschland vor und nach 1989/90 künstlerisch zu beforschen. Sein Beitrag zum Projekt geht von einer Archivaufnahme der Demonstration in Plauen am 7. Oktober 1989 aus und ist Teil seines Buchprojektes „(M)eine Geschichte der Gewalt“.
wildes wiederholen. material von unten: Künstlerische Forschung im Archiv der DDR-Opposition ist ein Kooperationsprojekt zwischen District Berlin und dem Archiv der DDR-Opposition / Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. kuratiert von Suza Husse und Elske Rosenfeld im Gespräch mit den Partner*innen im Archiv: Rebecca Hernandez Garcia, Frank Ebert, Christoph Ochs, Olaf Weißbach. Gefördert vom Hauptstadtkulturfonds. Das Veranstaltungsprogramm am 16. Dezember 2018 wird realisiert in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Robert-Havemann-Gesellschaft wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch den Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Zum Projekt erscheint eine Publikation bei Archive Books.