Tran Luong: Lập Lòe
Tran Luong gilt als einer der Pioniere der zeitgenössischen Kunst des so genannten Post-Đổi-Mới [1] in Vietnam, die sich im bewussten Widerspruch zu den Produktionsweisen, Ästhetiken und Sujets des höchst reglementierten Kunstbetriebs im sozialistischen Vietnam in kleineren künstlerischen Gemeinschaften entwickelte. Als Mitglied der Künstlergruppe Gang of Five (1983-1996) arbeitete Tran Luong anfangs noch vorrangig im Medium der semi-abstrakten Malerei, das es ihm erlaubte, analytische Bildgebungsverfahren zu erproben und darin seine Gegenwart ebenso wie die Kriege [2], während denen er aufwuchs, künstlerisch zu verarbeiten.
In den 1990er Jahren begannen er und zahlreiche andere Künstler*innen der Post-Đổi-Mới-Bewegungen, verstärkt mit Performances zu experimentieren. Die Flüchtigkeit und Ortsbezogenheit ihrer Performancekunst schuf neue Freiheit im Hinblick auf die Darstellung kritischer Themen, die Erschließung alternativer Produktions- und Rezeptionszusammenhänge und nicht zuletzt den Umgang mit staatlicher Zensur. Unter den Vorzeichen allgegenwärtiger Kontrolle und Repression ist der Realisierung vieler Performances die Antizipation möglicher Konsequenzen auch heute noch eingeschrieben. An den Rändern der von rot-gelber Propaganda, wachsender Kommerzialität und omnipräsenten Wächter*innen des Regimes geprägten urbanen Öffentlichkeit entstanden und entstehen ortsspezifische Gesten. Die Kuratorin June Yap aus Singapur beschreibt, dass die unkonventionellen und diskursiven Strategien der Performancekunst auch andere Formen zeitgenössischer Kunst in Vietnam „infizieren“ und das Performative so zu einer Praxis geworden ist, die die Kunst nicht nur von infrastrukturellen Begrenzungen temporär befreit, sondern auch offizielle Kontrollmechanismen herausfordert [3].
In Lập Lòe aktualisiert Tran Luong subjektive Erinnerungen, die der Anblick des für die kommunistische Jugend obligatorischen Pioniertuchs am Hals seines Sohnes 2007 in ihm auslöste. Im selben Jahr entstand die erste einer Reihe von Performances, in denen der Künstler das rote Tuch mit seiner tiefen historischen und politischen Symbolik in direkte und schmerzbetonte Beziehung zu seinem eigenen Körper stellt. Lập Lòe ist das Re-Enactment eines Kampfspiels, das er in seiner Kindheit häufig mit Schulkamerad*innen übte. In kindlicher Nachahmung des traditionellen ostasiatischen Seiden-Kung-Fu, wird das Tuch dabei möglichst so aus der Hand heraus bewegt, dass es den/die Gegner*in wie eine Peitsche bedroht. Während im Spiel beide Spieler*innen ein Tuch zum Angriff haben und die Geschicklichkeit auch im Ausweichen der Schläge liegt, bildet in der Performance die nackte Haut des Künstlers die einzige Angriffsfläche.
Nach ihrer ersten Aufführung im 798 Art Zone, einer ehemaligen Waffenfabrik in Peking (DaDao Life Art Festival, 2007), realisierte Tran Luong diese Performance in den letzten Jahren an 14 Orten in Vietnam, Korea, Indonesien, Singapur und Norwegen. Fast jedes Mal bat er das Publikum, das Tuch zu nehmen und eigene Erinnerungen wachzurufen, vergrabenes Wissen zu performen und ihre Geister mit ihm zu teilen. Tatsächlich war und ist dieses einfache Spiel nicht nur unter sozialistischen Pionier*innen verbreitet, die mit ihren roten Halstüchern Spielzeug und Waffe gewissermaßen am Körper tragen. Vielmehr gehören derartige Spiele zum Repertoire des körperlichen Kräftemessens, zu kulturellen Praktiken der Umdeutung von Objekten und zum Erlernen von Techniken, um physischen Schmerz zu ertragen und ihm auszuweichen.
Wie in seinen früheren Performances, Videos, Bildern und kuratorischen Projekten, verkörpert und hinterfragt Tran Luong in Lập Lòe die inneren und äußeren Narben einer über Generationen weitergetragenen Entbehrung und ideologischen Indoktrinierung. Als Kulturproduzent einer Gesellschaft, die nur selten den Rückblick in ihre Vergangenheit als chinesisch okkupiertes, französisch kolonisiertes, geteiltes und vom amerikanischen und anderen Kriegen ebenso wie von politischer Willkür gezeichnetes Land wagt, spricht sein künstlerisches Zeugnis auch von der Notwendigkeit einer Spurensuche, die am eigenen Leib und in der eigenen Geschichte beginnt.
2012 entstand Lập Lòe als Drei-Kanal-Videoinstallation, in der das rote Tuch scheinbar von unsichtbaren Kräften dirigiert wird. Auf dem linken Bild fliegt es durch die Luft wie die Wimpel, die von Pionier*innen zu offiziellen Anlässen geschüttelt werden. Das aus den Lautsprechern hörbare Schlagen und Flattern lässt aber auch an wehende Fahnen oder an den Flügelschlag weißer Tauben denken, die als kommunistisches Symbol für den Frieden ihre Käfige zu offiziellen Anlässen gen Himmel verlassen durften (beispielsweise in der DDR). Im Zentrum der Videoinstallation imitiert dieses flatternde Stück Stoff die Bewegungen einer Peitsche – das rote Textil attackiert einen zunehmend von Striemen gezeichneten Oberkörper. Im rechten Bild fällt dieses Kleidungsstück in immer rasanterem Tempo vom Himmel herab. Unterlegt ist das Signal einer Sirene, die, einem hohen Geigenton ähnelnd, während des Krieges vom Dach des Hanoier Opernhauses erklang, um vor den eintreffenden Bomben zu warnen.
Der von Foltermalen gebrandmarkte Körper dreht sich unaufhörlich, wie um seine Oberfläche den Schlägen preiszugeben. Der geschundene Torso erscheint als Bild eines gesellschaftlichen Körpers im Konflikt mit sich selbst. Seine Narben spiegeln die Erfahrungen von Generationen kritischer Denker*innnen, Künstler*innen und Aktivist*innen wider, die bis heute unter den Repressionen des Regimes ebenso wie unter ständiger Selbstzensur leben. Für den Künstler ist die Interaktion mit dem Tuch aber nicht nur Quelle des Schmerzes, sondern impliziert auch einen notwendigen Übergang, einen katalytischen Prozess des Verstehens [4]. In einem Plädoyer, das die Installation begleitet, schreibt Tran Luong:
/LậpLoè/
Là những số phận bất trắc. Những lằn chớp trước cơn mưa giông. Là đàn đom đóm, là trận chiến nhìn từ xa … Hay sự cố gắng của tàn tro trước khi tắt lịm.
/Lap Loe/
The uncertain fates. The lightning before the storm. The fireflies or the wars that were seen from the long distance … Suddenly flared up, as the efforts of the ashes before wenting out.
Ob Glühwürmchen, Kriegslichter oder Blitze vor dem Sturm – die existentielle Erfahrung der Unsicherheit in Bezug auf die Reichweite und die Ursachen von Vorgängen ist etwas, das die Menschen, die den Kalten Krieg (nicht nur auf sozialistischer Seite) miterlebt haben, miteinander teilen. Ebenso wie das Warten auf einen kommenden, notwendigen Wandel.
[1] Seit 1986 regiert die KPV (Kommunistische Partei Vietnam) mit einem Politbüro von 15 Personen das Land nach dem Vorbild eines marktwirtschaftlich toleranten Sozialismus. Als Đổi Mới („Erneuerung“) wird diese Zeit der parteigelenkten, marktwirtschaftlichen Liberalisierung Vietnams bezeichnet.
[2] Nachdem er in seinen Kindheitstagen im Zuge des Vietnamkriegs (in Vietnam Amerikakrieg genannt) die amerikanischen Bombardierungen miterlebte, brachen in seiner Jugend die Kämpfe gegen die Roten Khmer (Khmer Rouge) aus, und China griff im Jahr 1979 den Norden von Vietnam an.
[3] Siehe June Yap, Essay on Tran Luong’s Lập Lòe, 2012.
[4] Siehe June Yap, Essay on Tran Luong’s Lập Lòe, 2012.