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Jana Gunstheimers Genie (Labor) wurde 2008 erstmals in der Kunsthalle Bonn gezeigt und nun für District als permanente Installation in den ehemaligen Räumen des technischen Diensts der historischen Malzfabrik weiterentwickelt. Der verwildernde Protagonist dieses Ortes, der Gefängnis und Bühne zugleich darstellt, ist Gunstheimers Phantasiefigur Herr Wosche. Herr Wosche, so erfahren wir aus den anderen Werken der Serie Genie (2008)[1], befindet sich auf dem Weg der Transformation in eine tierische Daseinsform: Während sein Körper unaufhörlich wächst, verlernt er die menschliche Sprache und weigert sich, den Normen des sozialen Umgangs weiter zu folgen. In der Figur des Genies verbindet Gunstheimer in Genie (Labor) den Mythos einzigartiger geistiger Fähigkeiten mit den Symptomen sogenannter Wolfskinder, die isoliert von anderen Menschen unter Tieren oder in grausamer Gefangenschaft aufwuchsen. Von jeher bildeten Wolfskinder, wie Kaspar Hauser oder das 1970 in Los Angeles entdeckte Mädchen Genie, eine Projektionsfläche westlicher Gesellschaften und gingen als wissenschaftlicher[2] wie auch literarischer Untersuchungsgegenstand in das kollektive Gedächtnis ein. Diese „Wilden“ aus der eigenen „zivilisierten“ Mitte verkörperten das Bild des „Anderen“, das mit den zeitgenössischen Exorzismen der Aufklärung und der Psychiatrie diszipliniert und dominiert wurde.
In der scheinbar selbst gewählten Verwilderung und Isolation des Herrn Wosche findet eine ebenfalls umgekehrte Wolfskind-Figur der Moderne ihren Widerklang: In seiner Erzählung Bartleby, the Scrivener: A Story of Wall Street von 1853 schildert Herman Melville die Entwicklung des Büroangestellten Bartleby, der sich im Laufe der Geschichte zusehends in sich selbst zurückzieht, die Teilnahme an der werkenden Gemeinschaft verweigert und so die Normen und Rollenbilder der frühkapitalistischen Gesellschaft zur Disposition stellt. Während Bartleby sein Ende im Gefängnis- bzw. Psychiatriehof findet, wird Herr Wosches Ausstieg laut Gunstheimers Genie/Talkshow (2008) zudem in Talkshowauftritten medial gezähmt und spektakularisiert.
Im Genie (Labor) befindet sich eine Tribüne, ein Observatorium für die Zelle in einer dystopisch anmutenden Versuchsanstalt. Hier stehen die Besucher_innen – gewissermaßen in Vertretung des Forschungs- bzw. Überwachungsteams – auf der sicheren Seite eines deckenhohen Gitters. Als Panoptikum en miniature ermöglicht die ttchitektur eine lückenlose Kontrolle aller Vorgänge innerhalb des Gefängnisses und wird so zum physischen Gleichnis der heutigen Allgegenwärtigkeit von Überwachungstechnologien. Michel Foucault beschreibt das Panoptikum als „eine Form politischer Technologie“, mittels derer Körper im Raum platziert und die Beziehungen von Individuen zueinander getrennt werden[3]. Diese Art der hierarchischen Organisation, die Zentren und Taktiken der Macht definiert, erscheint in Gunstheimers Installation als doppelte Bühne. Während die Perspektive der Zuschauer_innen auf die verlassene Szenerie unter ihnen gerichtet ist, werden sie in exponierter Position selbst zu Beobachteten. Denn wer weiß schon genau, was in diesem Labor eigentlich erforscht wird.
Suza Husse
Ein Projekt von District Berlin in Zusammenarbeit mit der Malzfabrik.
Seit 2011 widmet sich District im Rahmen von AAArchitecture der Ko-Produktion und Vermittlung ortsspezifisch entwickelter Kunstprojekte, die in den Zwischenbereichen von Architektur, urbanem und sozialem Raum, Technologie und Kunst experimentelle Perspektiven zeitigen.
Bis heute wurden in diesem Rahmen Barbara Cavengs Neuköllner Sozialparkett (2011) und die Installationen Banner Study for an Agora (2011-2013) von Discoteca Flaming Star und Public Face (2012-2013) von Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer realisiert.
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[1] Die Werkreihe Genie wurde im Kunstmuseum Bonn (2008) sowie im Kunsthaus Erfurt (2009) gezeigt und ist dokumentiert in den Publikationen Nova Porta, Maßnahmen zur Bewältigung von Risiken unter Aufsicht von Jana Gunstheimer, 2010, und Jana Gunstheimer, Methods of Destruction, 2012.
[2] In der Medizin bezeichnet das Wolfskindsyndrom bzw. Hospitalismus oder Deprivationssyndrom die körperlichen und psychischen Begleitfolgen eines Krankenhaus- oder Heimaufenthalts oder einer Inhaftierung. Auch die Störungen von manchen Tieren in Gefangenschaft fallen unter den Begriff des Hospitalismus. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Hospitalismus
[3] Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main, 1994.
Jana Gunstheimer (* 1974 in Zwickau). studierte Ethnologie und Kunstgeschichte an der Universität Leipzig sowie Kunst an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, an der Athens Academy of Fine Arts, Griechenland, und an der Ohio University, USA. Gunstheimer wurde mit renommierten Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter die Stipendien der Villa Massimo (2010), der Stiftung Kunstfonds (2007 und 2004) sowie der Marion Emer Award (2005). Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt, u.a. im MARTa, Herford (2013), im Frankfurter Kunstverein (2012), im Museum Folkwang, Essen (2012), in der Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2010), im Kunstmuseum Thun (2009), im Kunstmuseum Bonn (2008), im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart (2008), am Art Institute, Chicago (2007), in der Kunsthalle Brandts, Dänemark (2007) und im Kunsthaus Dresden (2004). 2014 werden Einzelausstellungen von ihr u.a. in der Kunsthalle Erfurt sowie im GEM, Den Haag ausgerichtet.
Sie lebt und arbeitet in Jena.