dissident desire Kapitel 1: Exercises of Critical Bodybuilding
Ein Kunst- und Forschungsprojekt von Suza Husse und Lorenzo Sandoval
24. Oktober Eröffnung
„I’m the platform that makes possible the materialization of political imagination.“ (Beatriz Preciado)
Mit dem Ziel, den Körper ins Zentrum gesellschaftlicher Diskussionen zu rücken, durchquert dissident desire Diskurse und Praktiken, in denen der Körper als Feld politischer Auseinandersetzungen artikuliert wird und macht sich auf die Suche nach Methoden, die außerhalb des Akademischen in Bereichen informeller Expertise entstehen. Innerhalb dieses Projekts werden proaktive wie widerständige Vorschläge und Thesen formuliert, die die infrastrukturelle Produktion, Organisation und Normalisierung gegenwärtiger Körperkonzepte in Frage stellen.
Um diese Gegenwärtigkeit des Körpers zu artikulieren, wird im Rahmen von dissident desire mit dem Begriff des unerwarteten Wissens umgegangen: Auf der Suche nach Widersetzungen und kritischen „Vorhergehensweisen“ (Michel de Certeau) an Orten, an denen diese nicht zu erwarten sind, aktiviert dissident desire eine Bewegung des Übergangs: Wie kann situiertes Wissen über zeitgenössische Techniken der Körperproduktion zu einer herausfordernden Kraft werden, die Gegennarrative zu unserer bio-politischen Verfasstheit entwirft?
Die innerhalb dieses Kontexts präsentierten künstlerischen Projekte formen eine Galaxie von dissidenten Ideenbildern und Themen – von der informellen Kartierung städtischer Veränderungen (Reinigungsgesellschaft) zur Überwindung unseres Dominanzverhältnisses gegenüber der Natur (M. Bonajo); von einer Studie physischer Optimierungsstrategien/Trainings/Behandlungen und dem darin aufscheinenden Körperwissen (A. Frankovich) zur Beziehung zwischen Begehren, Besitz und der mentalen Ausdehnung des Körpers (D. Maimon); von der Verkörperung kollabierender Infrastruktur, die unerwartete Solidarität generiert (M. Todorova), zur Verlagerung von Ideen innerhalb der Sinne und in Bewegungen (E. Haugh) und zur Verwobenheit von öffentlichem Raum und der Artikulation der Menschenrechte (L. Castro & Ó. Ólafson); und schließlich von der futuristischen Ausbeute reproduktiver Technologien (J.P. Raether) zu einem Masterplan über die Zwangsenteignung von Banken (N. Güell).
24. Oktober – Eröffnung
19.00-20.30 h
The Potent Self: A study of spontaneity, compulsion and resistance
Begegnungen von Alicia Frankovich
Alicia Frankovich konfrontiert die Betrachter*innen mit einer Serie physikalischer Vorschläge, die im Rahmen von unmittelbaren Begegnungen, Schulungsvideos und Objekten formuliert werden. Eng bezogen auf die Optimierung und Heilung des Selbst, ebenso wie auf Formen gesellschaftlichen Widerstands schafft ihre Arbeit zugleich Bewußtsein für Potentiale der eigenen Handlungsträgerschaft und für die Kinästhetik von Körper und Geist. Die von diversen Expert*innen präsentierten Behandlungstechniken und Methoden sind teils illegal, teils ganzheitlich und reichen von Feldenkrais über Sportwissenschaft bis hin zu Drogenkonsum und Selbstverteidigung.
20.30 h
How to expropriate money from the banks?
Gespräch zwischen von Nuría Güell mit Enric Duran (Aktivist, Bankräuber und Mitglied der Integral Catalan Cooperative) (in englischer Sprache)
Núria Güells Arbeit Displaced Legal Application #1: Fractional Reserve (2013) schlägt vor, das System der Mindestreserve, das Banken bei der Kreditvergabe an ihre Kunden zur Anwendung bringen, auf die Banken selbst rückzuwenden. Auf Grundlage ihrer langfristigen Recherchen zu Aktivist*innengruppen und in Kollaboration mit Fachleuten aus Wirtschaft und Recht, generierte Güell diverse Mittel der Schaffung öffentlichen Bewußtseins für Techniken der Enteignung von Banken zu schaffen. Zunächst organisierte sie Bildungsveranstaltungen mit den Enteignern Lucio Urtubia, Enric Duran und der Forschungsgruppe Qmunty, in denen Enteignungsstrategien, aber auch zeitgenössische Geldschöpfungsstrategien der Banken erläutert wurden. Anschließend veröffentlichte sie eine „Bedienungsanleitung“ mit diesen Strategien, inklusive Rechtsberatung und weiterführenden Untersuchungen. Dieses Handbuch wird kostenlos verteilt und ist online zugänglich.
2. und 3. November
11.30-17.00 h
Physical Education: Exercises in Embodying Discourse
Workshop – Reading Troupe #01 (in englischer Sprache) von Emma Haugh
“Was, wenn man der gesprochenen Sprache erlaubte zurückzutreten, so dass andere Formen der Auseinandersetzung in den Vordergrund rücken können?”, fragt Emma Haugh. Im Rahmen ihrer „Lesetruppe“ sind die „Leser*innen“ eingeladen, an einer aktiven Verkörperung der Produktion und Verbreitung von Wissen mittels reflexiver Dokumentationsstrategien teilzunehmen. Zwischen Lesegruppe und Theaterprobe angesiedelt und in Anwendung von Techniken Augusto Boals, ermutigt dieser intensive zweitätige Workshop die Teilnehmer*innen dazu, als kritisch Handelnde die Inhalte des ausgewählten Textes Testo Yonki von Beatriz Preciado in die Performanz zu bringen.
21.November
18.00 h
Expanded Objects for Shared Living: A Procession
Performance von Miryana Todorova
„Wie lassen sich die Straßen anders bewohnen, damit wir den Raum zwischen uns anders funktional und spontaner erleben können?“ Diese von der Künstlerin Miryana Todorova gestellte utopische Frage wird mittels verschiedener Medien an der Schnittstelle von privatem und öffentlichem Raum untersucht. Das multidisziplinäre Projekt Expanded Objects for Shared Living: Free Delivery Service zielt auf die Aktivierung unerwarteter Verhaltensmuster.
19.30 h
Transformella Institut Reproduktiver Zukünfte
Workshop (in englischer Sprache) von Johannes Paul Raether
Seit 2010 untersucht Johannes Paul Raether unter Zuhilfenahme einer selbstgeschaffenen, fiktiven Persona namens Transformella – Queen of Debris die Zukunft menschlicher Reproduktion in ihrer Beziehung zur kapitalistischen Produktionsweise. Im Zeitalter von künstlicher Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik und Leihmutterschaft gewinnt die Reproduktionstätigkeit eine globalisierte und industrialisierte Qualität. The Transformelle Institute of Reproductive Futures plädiert dafür, die durch innovative Reproduktionstechnologien geschaffenen Möglichkeiten als kontroverse Instrumente in die politische Debatte um Selbstbestimmung, Kollektivität und Gesellschaft aktiv einzubeziehen.
21.00 h
MΔTRIX BOTΔNiCΔ: Biosphere Above Nations
Performance von Melanie Bonajo
MΔTRIX BOTΔNiCΔ: Biosphere Above Nations vollzieht die Umcodierung zeitgenössischer Rituale von Mensch / Pflanze / Tier im Szenario desakralisierter westlicher Gesellschaften. Melanie Bonajo bezieht sich auf die Natur im Sinne einer Konstuktion „des Natürlichen“ als einem kreativen, selbstbestimmten und freundlichen Anderen. Generell zielt Bonajo auf die Dekonstruktion der Vorstellung, die menschliche Existenz sei nur minimal mit der Erde verknüpft. Entsprechend führt MΔTRIX BOTΔNiCΔ ein Ritual vor, in dem der Prozess einer „Erdung“ zeitgenössischer Individuen wirklich stattfinden kann. Im Rahmen von dissident desire lädt Bonajo die Besucher*innen dazu ein, eine ökozentrische Perspektive zu entwickeln: „An alle im Raumschiff: Jetzt bitte anschnallen für die Heimkehr von anthropozentrischer Philosophie zurück zur Erde!“
7. Dezember
17 h
The Potent Self: A study of spontaneity, compulsion and resistance
Workshop von Alicia Frankovich mit Christiane Lillge (Feldenkraislehrerin)
19 h
The Potent Self: A study of spontaneity, compulsion and resistance
Demonstration von Alicia Frankovich mit Dr. med. Robert Margerie (Facharzt für Innere Medizin, Sport- und Rettungsmedizin)
20 h
Physical Education: Exercises in Embodying Discourse
Workshop – Reading Troupe #02 (in englischer Sprache) von Emma Haugh
21 h
The She The Same
Performance (in englischer Sprache) von Dafna Maimon mit John John und Dramachandran
The She The Same ist ein Projekt, das eine Parallele zwischen der Erfahrung unseres „echten Anderen“ und Phantomschmerzen an den Extremitäten des Körpers herausarbeitet. So kann man im Rückblick auf Mythologien, in denen der Mensch am Anfang der Zeit von seiner „anderen Hälfte“ getrennt ist, diesen „verlorenen Anderen“ wirklich als phantomhafte Extremität oder Phantomkörper auffassen. Das mit Hilfe eines Neurowissenschaftlers entwickelte Forschungsprojekt von Dafna Maimon erkundet mit den Mitteln von Kurzfilm (30 min.), Performance und Malerei die Modi, nach denen Körper konstruiert und wahrgenommen werden. Die Künstlerin fragt danach, ob die Idee der „wahren anderen Hälfte“ nicht in Wahrheit ein Werkzeug der Produktion von Erwartungen und Begehren im Rahmen der kapitalistischen Romantikindustrie ist.