CTM Vorspiel: Purple Panic: 43

— 30/01/2019

Pınar Öğrenci, Purple Panic:43, Lecture Performance, District Berlin 30.01.2019. Fotos: Andrea Bellu

Pınar Öğrenci, Purple Panic: 43, Performance auf dem Tlatelolco Platz, Mexico City, 2015. Foto: Jose Luis Arriaga. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.

Lecture-Performance mit Pınar Öğrenci

Im Rahmen von Revolt She Said – Dekoloniale und feministische Perspektiven auf 68 und dem Vorspiel-Programm der transmediale und des CTM

Mittwoch, 30. Januar 2019, 20 h

Die Lecture-Performance Purple Panic: 43 von Pınar Öğrenci findet als Teil des Vorspiel-Programms der transmediale und des CTM Festivals statt und ist die letzte Veranstaltung der Reihe Revolt She Said – Dekoloniale und feministische Perspektiven auf 68, im Rahmen derer wir die Produktion von Geschichte und Geschichtsschreibung hinterfragen und die Bewegungen jener Zeit aus der Perspektive ihrer feministischen, antikolonialen, diasporischen, migrantischen, jüdischen und Schwarzen Organisationen (neu)erzählen möchten.

Am 24. September 2014 wurden in Iguala, Mexiko 43 Student*innen der Ayotzinapa Teachers‘ School während Protesten gegen die niedrigen staatlichen Förderungen für Hochschulen und Universitäten entführt. Sie hatten im Anschluss an die Demonstration in Mexiko-Stadt dem Massaker von Tlatelolco gedenken wollen, bei dem 1968 vor den Olympischen Sommerspielen 300 Menschen getötet wurden. Für die Entführung arbeitete der Staat mit der Mafia zusammen. Anfang 2015, genau sechs Monate nach dem Verschwinden, realisierte Pınar Öğrenci im Rahmen der Biennale De Las Fronteras und des R.A.T. Residenzprogramms den finalen Teil ihrer Performance Purple Panic: 43 auf dem Tlatelolco Platz in Mexiko-Stadt. Dafür fegte sie Jacaranda-Blüten auf unterschiedlichen Avenues der Stadt, die als wichtige Orte für das kollektive Gedenken an die verstorbenen Studierenden von Ayotzinapa gelten. Der Zusammenhang zwischen der Entführung 2014 und dem Massaker von Tlatelolco 1968 ist ein eindrucksvolles Beispiel für sich wiederholende Zyklen staatlicher Gewalt. Zyklen wie Jahreszeiten, die durch die Blüten des Jacaranda-Baumes symbolisiert werden.

In Von der Gastfreundschaft theoretisiert Jacques Derrida 2001 die Politiken der Gastfreundschaft. Er argumentiert, dass diese meist konditional ist, da sie in Bezug auf Bevölkerung und Souveränität, Grenzen und Grenzziehungen sowie Risikoberechnungen und Ressourcenmanagement von unterschiedlichen Bedingungen abhängt. Derridas Arbeit konzentriert sich auf migrantische und Fluchterfahrungen; doch wie lässt sich sein Konzept der Gastfreundschaft auf Bürger anwenden, die in ihrer eigenen Heimat entfremdet sind?* Motiviert durch die Parallelen zwischen den Universitätsangriffen in Mexiko 1968 und den aktuellen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nimmt Öğrenci diese Frage als Ausgangspunkt, um die Gewalt des mexikanischen Staates gegen seine dissidenten Bürger*innen zu thematisieren.

Die mexikanische Regierung beabsichtigte dem internationalen Publikum zu den Olympischen Sommerspielen 1968, eine moderne Stadt zu präsentieren. Die Modernisierungsarbeiten im Vorfeld wurden auf Kosten der Stadtbevölkerung umgesetzt. Neben der Dokumentation ihrer Performance Purple Panic: 43 präsentiert Öğrenci in der Lecture-Performance Texte, die das Verhältnis von staatlicher Gewalt und Architektur verhandeln. Die Geschichten historischer Bauwerke, des ehemaligen Gefängnisses Palacio de Lecumberri, des Hotel de Meksiko und des riesigen Wohnprojektes Nonoalco Tlatelolco, sowie Derridas Konzept der Gastfreundschaft sollen dazu beitragen, die 1968er Bewegung in Mexiko zu verstehen. Die Künstlerin macht die persönlichen Widerstandsgeschichten von gewaltsam vertriebenen und verschwundenen Arbeiter*innen, Landflüchtigen und Studierenden sichtbar, die in der Architekturgeschichte oft ignoriert werden.

* George F. Flaherty, Hotel Mexico, Dwelling on the 68 Movement, University of California Press, 2016

 

Die Reihe Revolt she said ist kuratiert von Andrea Caroline Keppler (District Berlin), Dr. Katharina Koch und Dorothea Nold (alpha nova & galerie futura) im Gespräch mit Karina Griffith (District Atelierstipendiatin 2018 und Recherchestipendiatin Decolonizing 68) sowie Sharon Adler, Madeleine Bernstorff, Dr. Lisa Glauer, Dr. Natasha A. Kelly, Martina Kofer, Dr. Corina S. Kwami, Pınar Öğrenci, Dr. Peggy Piesche, Kelvin Sholar, Merle Stöver und PD Dr. Anja Zimmermann.