Ana Hoffner: Doubling Past

09/06/2016 — 31/07/2016

Ana Hoffner, Doubling Past, Exhibition view, District, 2016, Photo: Emma Haugh

Ana Hoffner, Doubling Past, Exhibition view, District, 2016, Photo: Emma Haugh

Ana Hoffner, Doubling Past, Exhibition view, District, 2016, Photo: Emma Haugh

Ana Hoffner, After The Transformation, video still, HD Video, 15:52, 2013

Ana Hoffner, The Bacha Posh Project - Disavowals or Cancelled Confessions, silver gelatin prints, 17,8 x 12,7cm, 2016

Ausstellung

9. Juni 2016, 19 h Eröffnung

10. Juni –30. Juli 2016
Geöffnet Dienstag bis Samstag 14 – 18 h

Transferred Memories – Embodied Documents von Ana Hoffner (2014, 14 min)
Videoscreening gefolgt von einer Diskussion mit Antke Engel, Institut für Queer Theory, und Ana Hoffner
Mittwoch, 15. Juni 2016, 19 h
im ICI Berlin Institute for Cultural Inquiry, Christinenstr. 18/19, Haus 8, Berlin
Sprache: Englisch. Anmeldung: info@ici-berlin.com

Ausstellungsführung und Nachbarschaftsgespräch 
mit Janine Halka, Koordinatorin Künstlerische Bildung District, und Andrea Caroline Keppler, Kuratorin District
Donnerstag, 30. Juni 2016, 14 h
Sprache: Deutsch. Anmeldung: post@district-berlin.com

Ausstellungsführung 
mit Suza Husse, Künstlerische Leiterin District, und Andrea Caroline Keppler, Kuratorin District
Mittwoch, 20. Juli 2016, 18 h
Sprachen: Englisch und deutsch. Anmeldung: post@district-berlin.com

It is in the repetition, in fact, that memory transforms the real into the possible and the possible into the real, returning possibilities to the past. Only repetition, therefore, can open up to the multiple times of what will become.
Marco Scotini

The Bacha Posh Project – An Archive On Drag In Times Of War (2016) konstruiert Porträts, Stillleben, Schriften und Spiegelflächen aus dem Leben und Werk des surrealistischen Künstlers Aziza Mehran Ahmad. In Form retrospektiver Verkörperungen präsentiert The Bacha Posh Project die Auseinandersetzung Ahmads mit Performanzen und Bildlichkeiten von gender-ambiguen Lebensweisen. Aus dem Archiv geht eine Vergangenheit als Drag-Doppelgängerin der Moderne hervor, die (noch) nicht Geschichte geworden ist.

Während sich Erinnerung und Imagination in The Bacha Posh Project von einem Körper zum anderen als Spur von Ko-Affizierungen vollziehen, schlägt After The Transformation (2013) die queerende Unterbrechung von Geschichte als künstlerische Strategie vor. Protagonistin der Videoinstallation, die Gendertransformation und Transformation nach 1989 ineinander verdoppelt, ist eine Stimme, die als Erinnerung in einem Körper gefunden wird, der zuvor nichts von ihr wusste. Eine Erinnerung, um sich eine andere Zeit anzueignen.

The Bacha Posh Project
An Archive On Drag In Times Of War

In The Bacha Posh Project (2016) geht Ana Hoffner mit den fragmentarischen Hinterlassenschaften des bisher unbekannten surrealistischen Künstlers Aziza Mehran Ahmad um. In performativen Bild- und Textakten rekonstruiert Hoffner die Kunstwerke und Schriften des Künstlers, aktualisiert seine Träume von Kriegen der Zukunft in spiegelnden Umgebungen und überträgt seine Aufzeichnungen in die Rückseiten des entstehenden Archivs. Der in Kabul als ‚bacha posh’ (persisch für Mädchen, die als Jungen aufwachsen) sozialisierte Ahmad muss, das suggerieren die Funde und Neuverkörperungen in The Bacha Posh Project, als einer der Protagonisten moderner Trans- und Dragbewegungen im frühen 20. Jahrhundert gelten.

So vollzieht The Bacha Posh Project transzeitliche, diasporische Bewegungen, die historisch Mögliches auftun und sich einem linearen Geschichtsverständnis ebenso widersetzen, wie genderbinären Identitätsregimen. Anhand von Porträts, Stillleben, Dokumenten und Kommentaren sowie glänzenden Oberflächen rekuperiert Ana Hoffner in einem imaginativ-archivarischen Vorgehen die verlorene Erinnerung an diese Figur und ihr Wirken im Kontext historischer wie gegenwärtiger Kriegs- und Konfliktzeiten.

Disavowals or Cancelled Confessions ist eine Serie von Selbstporträts, die kein eindeutiges Selbst tragen, und von einem Auszug aus Ahmads Briefen begleitet werden. Die kleinformatigen Schwarzweißfotografien gehen auf Ahmads künstlerische Auseinandersetzung mit seiner eigenen Erfahrung als bacha posh zurück. Sie sind sinnliche Zeugnisse von Reisen nach Kabul zu anderen bacha posh, von Erinnerungen, Fantasien und Projektionen. Als korporeale Reinszenierungen dessen, was bis dahin außerhalb des Sichtbaren lag, sind sie hybride Zeichen des schon Gewesenen wie auch dessen, was zum ersten Mal ist.

Das Spiel mit der Verdoppelung und Wiederholung setzen die fotografischen Stillleben mit dem Titel Double Still Lives fort. Sie erzählen von Szenerien vergessener oder imaginierter Orte und Beziehungsweisen. Das surrealistische Bildarchiv versammelt Objekte, Pflanzen, Federn, Artefakte des Alltags, Puppen und Stoffe, deren Schatten über ihren Bildrand und Zeithorizont hinaus geistern. In ihnen materialisiert sich ein Gefüge von Unterströmungen und Kräften, die, um Trinh T. Minh-has Formulierung zu leihen, auf das Anderswo im Hier verweisen.[1]

Ähnlich tiefe Oberflächen erzeugt die Installation Double Shine, eine Intervention in die Architektur des Ausstellungsraums, die einen der raumtragenden Pfeiler hinter Spiegeln verschwinden lässt. An diesem Ort aktualisiert sich ein wiederkehrender Traum Aziza Mehran Ahmads, in dem Soldat*innen aus der Zukunft davon erzählen, wie sie in den Baracken Afghanistans Botschaften ihrer im Krieg gemachten Erfahrungen hinterlassen. Diese Botschaften inserierte Ahmad über Jahre hinter den glänzenden Fassaden europäischer Städte. Angesichts der Allgegenwart gläserner, reflektierender Strukturen multiplizieren sich die Kriegsnachrichten und lassen hinter fast jedem Spiegel neue Botschaften der Soldat*innen vermuten.

Die Textobjekte Documents, Comments enthalten Randnotizen und kritische Anmerkungen Ahmads zu einzelnen Seiten eines US-amerikanischen Reiseromans auf den Spuren von bacha posh in Kabul. In seinen Kommentaren auf den Unterböden von Archivkartons hinterfragt Ahmad die orientalistischen Erzählungen der Autorin und ihre Gedanken zu Genderstrukturen und gesellschaftlichen Werten in Afghanistan. An einigen Stellen kommt er nicht umhin, die eigene Sprachlosigkeit zu notieren. Buchstäblich aus den Rändern westlicher Vereinnahmung, patriarchaler Subordination und heteronormativer Zuschreibungen erklingt hier eine Gegenstimme aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich. Sie eröffnet eine Zeitlichkeit, die Mieke Bal mit dem Begriff preposterous als eine beschreibt, in der „sowohl Vorläufigkeit wie auch Nachträglichkeit für etwas bisher Uneingelöstes stehen.“[2]

Mithilfe künstlerischer Techniken der Wiederholung, der Verdoppelung, der retrospektiven Verkörperung sowie der Gegen- und Nacherzählung erzeugt The Bacha Posh Project ein Archiv, das innerhalb verschiedener Drag-Ebenen operiert. Die Person Aziza Mehran Ahmads kommt darin im Sinne der persona, der Maske durch die es tönt, zum Vorschein. Um diese gerade nicht in eine fassbare Identität zu überführen, gehört es, in den Worten Hanne Lorecks, „zu lesen, was nie geschrieben, zu sehen, was nie dargestellt wurde, um so die Subjekte zusammen mit dem sozialen und kulturellen Imaginären zu verändern, weil sie sich aus dem Vorhandenen das Eigene zurecht machen, ihre Biografien, die Geschichte.“[3] In diesem Sinne ist das Archiv selbst eine Dragfigur, die Möglichkeiten der Vergangenheit performt, und zugleich allegorischer Impuls, mit dem Ahmad in Allianz mit Hoffner gegen die hermetische Einheit von Autor*in, Werk und Rezeption antritt.

Text: Suza Husse

 

After The Transformation

After The Transformation (2013) arbeitet an der Verschiebung unserer Vorstellung von Transformation. Hoffner platziert hier das Geschehen ihrer Videoarbeit nicht im Osteuropa nach ‘89, sondern adressiert zunächst eine andere Transformation, die Veränderungen von Stimme und Körper im Diskursfeld „Transgender“. Das reduziert gerahmte Setting, ein Stimmtraining zwischen einer Trainer*in und einer Kund*in/ Patient*in (Performerin: Ana Hoffner) wird bald hochkomplex. Methodisch setzt Hoffner die Trennung von Stimme und Körper, von Bild und Ton, die unklare und komplizierte Sprecher*innenposition im Text, sowie mehrere Layer von Zeitlichkeit dazu ein, die Betrachter*in mit vielfältigen Fragen zu konfrontieren – ihren Bildern von Geschlecht, das Interesse staatlicher und medizinischer Institutionen an Geschlechtsidentität, das Verhältnis zwischen Service/ Konsum und der Möglichkeit, das eigene Geschlecht zu verändern und schließlich, überraschend und als scheinbarer Nebenstrang der Erzählung, das Verhältnis zwischen einer Transformation von Geschlecht und der Transformation nach ‘89.

Diese Rahmung ermöglicht es Hoffner, Bilder hervorzurufen, die traditionellerweise nicht mit osteuropäischer Geschichte verknüpft waren. Der queerende Eingriff in Erinnerung geschieht in dieser Arbeit vor allem durch das überraschende und strategisch platzierte Begehren nach einer „Zeit nach der Transformation“, die institutionelle Normen sowie Normen der Erinnerung hinter sich lässt. Entsprechend, und hier liegt die größte Herausforderung, schlägt Hoffner mit ihrer Arbeit auch Vergessen und Verdrängen schmerzhafter Ereignisse als subversive Taktik vor, die sie sorgfältig von Ausschluss und Repression bestimmter Erinnerungen unterscheidet.

Text: Renate Lorenz

Doubling Past ist die erste Einzelausstellung von Ana Hoffner in Berlin. Ein Projekt von District gefördert vom Bundeskanzleramt Österreich.

Dank an Antke Engel und das Institut für Queer Theory.

 

[1] Vgl. Trinh T. Minh-ha, Don’t Stop in The Dark, in: Marco Scotini, Elisabetta Galasso (Hg.), Politics of Memory. Documentary and Archive, Mailand / Berlin, 2015, S. 167.

[2] Vgl. Hanne Loreck, Einleitung zu Hanne Loreck, Michaela Ott (Hg.), Re*: Ästhetiken der Wiederholung, Hamburg, 2014, S. 8.

[3] ebd., S.11.

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